Wir könnten besser sein: Die Kluft zwischen Theorie und Praxis in der Versorgung von RA-Patienten

Warum die Treat-toTarget-Therapie so wichtig und ihre Umsetzung so schwierig ist, wie die neuen Empfehlungen der EULAR aussehen, ob der Therapieabbau bei anhaltender Remission sinnvoll oder gefährlich ist und wie man mit Komorbiditäten umgehen soll – das waren die Themen einer hochrangig besetzten "Win-Session" auf dem DGRh-Kongress.

Umsetzung von Treat-toTarget-Therapie bei RA ist häufig schwierig

Warum die Treat-toTarget-Therapie so wichtig und ihre Umsetzung so schwierig ist, wie die neuen Empfehlungen der EULAR aussehen, ob der Therapieabbau bei anhaltender Remission sinnvoll oder gefährlich ist und wie man mit Komorbiditäten umgehen soll – das waren die Themen einer hochrangig besetzten "Win-Session" auf dem DGRh-Kongress, der vom 6. bis 9. September 2017 in Stuttgart stattfand.  

Erfolgreicher mit zielgerichteter Therapie: Die Treat-to-Target-Initiative

 "Die schweren Manifestationen einer rheumatoiden Arthritis sehen wir nur noch selten, aber es gibt sie noch. Und genau das wollen wir verhindern. Unser großes Ziel ist es, dass die Patienten überhaupt keine Schäden mehr davontragen", erklärte Prof. Dr. Gerd Burmester von der Charité Berlin.

Einen wichtigen Beitrag dazu leistet die Treat-to-Target Initiative (T2T) für die Rheumatologie. Sie umspannt 65 Länder der Welt, ging aber 2010 aus einer kleinen Gruppe um den Wiener Rheumatologen Josef Smolen hervor. Er war der Meinung, dass es heute eine solch breite Vielfalt an Erfolgsergebnissen und Behandlungsstrategien gibt wie nie zuvor. Die vielen aktuellen Erkenntnisse müssten für klare Handlungsziele und effektive Krankheitskontrolle genutzt werden – insbesondere dann, wenn sie sich in der täglichen Praxis bewährt hatten. (1)

Die Empfehlungen der T2T geben keine medikamentösen Strategien vor und sind bewusst allgemein gehalten, um den lokalen Gegebenheiten der einzelnen Länder gerecht zu werden. Die wichtigsten Forderungen sind:

Um diese Ziele zu erreichen, müssen Patienten frühzeitig selektiert, therapiert und intensiv kontrolliert werden. Eine Studie aus dem Jahr 2010 hat gezeigt - und heute dürfte es nicht viel besser sein -, dass ein Patient in Deutschland im Durchschnitt 30 Wochen an Symptomen einer rheumatisch-entzündlichen Erkrankung leidet und fast 5 Wochen auf einen Arzttermin wartet, bevor er behandelt wird. (2)

"Können wir das 'Window of Opportunity' rechtzeitig öffnen, um Patienten in den ersten drei Monaten zu therapieren?", fragte Burmester und gab auch gleich die Antwort: "Es geht! Durch effizientes Screening in Früharthritis-Sprechstunden und ein erfolgreiches Versorgungsmanagement". Es geht aber noch besser: In einer holländischen Studie betrug die mediane Symptomdauer bis zur Behandlung nur 25 Tage.

"Wir können nicht von Übertherapie sprechen"

Patienten, die eine Remission erleben, haben praktisch die gleiche Funktionalität wie die Gesamtbevölkerung. Dies gelingt unter MTX bei 60 %. Mit einer Kombination aus MTX und Tocilizumab gleich zu Beginn erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines therapiefreien Rückgangs sogar auf fast 90 %. Doch nach der Kerndokumentation sind in Deutschland nur ein Drittel der Patienten in Remission und knapp die Hälfte weist noch eine moderate bis hohe Krankheitsaktivität auf. Im ersten Krankheitsjahr erhalten nur 3 % der Patienten Biologika. Die mittlere Krankheitsdauer bis zu ihrem Einsatz beträgt neun Jahre. (3) "Da können wir nicht von Übertherapie sprechen", so der Kommentar des Referenten.

Auch die CAPEA-Studie (4) wies auf gravierende Defizite hin: Im ersten Jahr betrug die Remissionsrate gute 40 %, doch im zweiten Jahr war keine Erhöhung in Sicht. Nur 12 % bekamen Biologika, nur 10 % eine DMARD-Kombinationstherapie. Und fast die Hälfte standen nach zwei Jahren immer noch unter einer Glukortikoidtherapie. Warum wurde nicht eskaliert? "Viele Ärzte gaben an, mit dem Ergebnis zufrieden zu sein. Ob aus Trägheit oder auf Patientenwunsch, wissen wir nicht", bemerkte der Berliner Rheumatologe.

Der Patient wird wichtiger: Die neuen Leitlinien für die RA

Nach den allgemeinen Empfehlungen der T2T-Initiative erläuterte Burmester die spezifischen Leitlinien der EULAR für die rheumatoide Arthritis.

Neu sind vor allem folgende Punkte:

Die Definition von Remission ist noch nicht abschließend dargestellt.

Therapieabbau – sinnvoll oder gefährlich?

 Bei anhaltender Remission möchten viele Patienten die Therapie reduzieren oder gar beenden. Ob das gefahrlos möglich ist und welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen, erläuterte Prof. Dr. Klaus Krüger von der LMU München.

Bei stabiler Krankheitseinstellung und stabiler Remission, die durch Ultraschall bestätigt ist, können Medikamente frühestens nach sechs Monaten problemlos reduziert oder abgesetzt werden. Wichtige Erkenntnisse dazu lieferte u. a. die RETRO-Studie: (5)

 

"Am Beginn des Therapieabbaus müssen Glukokortikoide ausgeschlichen werden, ansonsten gibt es keine evidenzbasierten Regeln", betonte Krüger. "Die Entscheidung sollte aber nicht aus ökonomischen Gründen erfolgen – wie von manchen Krankenkassen erwünscht – sondern nur nach individueller Absprache von Arzt und Patient."

Herz, Lunge und Gemüt: Was tun, wenn nicht nur die Gelenke krank sind?

Der Umgang mit Komorbiditäten war das Thema des zweiten Vortrags von Klaus Krüger. Wie wichtig diese Frage ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen: 80 % der RA-Patienten leiden an Begleiterkrankungen.

Kardiovaskuläre Probleme sind bei RA-Patienten am weitesten verbreitet, sie stellen auch die häufigste Todesursache dar. Sie lassen sich gut managen, sofern man das kardiale Risiko der RA-Medikamente kennt: Für MTX ist eine mäßige Risikoreduzierung belegt, nicht aber für Leflunomid oder Sulfasalazin. TNF-Inhibitoren und – wahrscheinlich – andere Biologika vermindern das Risiko für Herzkrankheiten deutlich, ebenso wie Hydroxychloroquin. Ein deutlich erhöhtes Risiko gilt für Kortikoide, ein geringes für NSAR mit Ausnahme von Celecoxib, das möglicherweise protektiv wirkt.

Die interstitielle Lungenerkrankung (ILD) ist die einzige systemische Manifestation mit zunehmender Tendenz und für 6 % aller Todesfälle bei RA verantwortlich. Hier ist eine konsequente Impfprophylaxe gegen Pneumokokken notwendig, die Raucherentwöhnung essentiell und eine PCP-Prophylaxe bei laufender Immunsuppression angezeigt.

Eine Depression wird meist übersehen. Die Prävalenz einer behandlungsbedürftigen Depression liegt bei 17 % der RA-Patienten; unter einer leichteren depressiven Verstimmung leiden 39 %. Depressionen verschlechtern den Outcome, denn sie stecken oft auch hinter schlechter Adhärenz. (6) Mit einem einfachen Fragebogen kommt man ihnen aber leicht auf die Spur, so Krüger. Und wenn man als Rheumatologe ein Netzwerk aus Psychiatern aufbaut, könne man diesen Patienten schnelle Hilfe ohne lange Wartezeiten ermöglichen.

Weitere Kongressberichterstattung vom 45. DGRh Kongress finden Sie im esanum Wissensarchiv.

Referenzen: (1) Smolen JS. Treating rheumatoid arthritis to target: recommandations of international task force EULAR 2010. http://ard.bmj.com/content/69/4/631

(2) Westhoff G. et al., Rheumatol 2010; 69:910-918. https://link.springer.com/article/10.1007/s00393-011-0852-0

(3) Albrecht K et al., Z Rheumatol 2016, epub July 5

(4) Albrecht K et al., Z Rheumatol 2016; 75: 90-96. https://link.springer.com/article/10.1007/s00393-015-0019-5

(5) Arthritis Rheumatol 2014; 66(11) Suppl: S418 http://ard.bmj.com/content/early/2015/02/06/annrheumdis-2014-206439

(6) Matcham F et el., Rheumatology 2013; 52:2136-2148. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3828510/