Eine Überversorgung mit Medikamenten, zu allgemeine körperlich orientierte Therapieangebote, zu wenig Bewegungsanreize – in der Behandlung von PatientInnen mit Schmerzen gibt es nach Ansicht von Fachleuten hierzulande momentan große Defizite – das zeigen auch erste Erfahrungen des im Jahre 2018 initiierten Projekts PAIN2020. Doch wie sollte eine konzeptionelle Therapie idealerweise gestaltet sein? Welche Elemente müssen in der Diagnostik frühzeitig berücksichtigt werden? Antworten auf diese Fragen geben Fachleute auf der Online-Pressekonferenz zum Deutschen Schmerzkongress 2020, die am Mittwoch, den 21. Oktober, von 11 bis 12 Uhr, stattfindet.
Die Versorgung von SchmerzpatientInnen ist nach Ansicht der Fachleute beider Fachgesellschaften in Deutschland momentan unzureichend. "Die Erkrankten bekommen häufig zu wenig bedarfsgerechte Therapien", kritisiert Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Ulrike Kaiser vom UniversitätsSchmerzCentrum am Universitätsklinikum Dresden. "Um eine individuelle Behandlung zu ermöglichen, ist es unbedingt erforderlich, dass geltende Leitlinien in der Schmerzmedizin auch adäquat umgesetzt werden. Das ist allerdings leider oft nicht der Fall." Nach Ansicht der Psychologin sollten diese Leitlinien unbedingt schon zu Beginn der Schmerzerkrankung möglichst genau auf den jeweiligen Bedarf der PatientInnen zugeschnitten werden.
Zentrale Elemente in der Schmerztherapie sind – neben einer medizinisch professionellen und individuellen Begleitung – zielgerichtete Bewegungsangebote. "Häufig werden diese viel zu wenig und zu spät eingesetzt", bemängelt Kaiser. "Neben medizinischen Aspekten und Aktivierungsangeboten sollten auch psychosoziale Faktoren frühzeitig in der Schmerztherapie Berücksichtigung finden", so die Expertin. "Wenn diese Elemente gemeinsam einbezogen werden, kann eine gezielte, bedarfsgerechte Therapie am besten wirken."
Um die genannten Defizite in der Schmerztherapie zu beheben, wurde von der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. und der BARMER 2018 das Projekt PAIN2020 ins Leben gerufen. Bisher wurden hier mehr als 600 PatientInnen eingeschlossen. Passend zum diesjährigen Motto des Schmerzkongresses 2020 "Gleich und doch verschieden" steht die interdisziplinäre Schmerztherapie bei dem Projekt PAIN2020 im Mittelpunkt. "Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Lücke in der Versorgung von Patienten mit Schmerzen und Chronifizierungsrisiko durch einen frühzeitigen interdisziplinären und diagnostischen Ansatz zu schließen", erläutert Kaiser, die das Projekt auf der Online-Pressekonferenz am 21.Oktober vorstellt.
PAIN2020 ist ein deutschlandweit angelegtes Projekt, an dem aktuell 26 Einrichtungen aus zwölf Bundesländern aktiv mitwirken. Die Teilnehmenden erhalten im Zuge dessen eine multiprofessionelle Diagnostik, die aus drei wichtigen Bausteinen besteht: einer ärztlichen, physiotherapeutischen und psychologischen jeweils einstündigen Befundaufnahme, einer Teamsitzung aller beteiligten Fachbereiche und aus einem gemeinsamen Abschlussgespräch mit den PatientInnen. "Hierbei beziehen wir den Schmerzpatienten aktiv ein", erläutert die Expertin. "Die behandelnden Therapeutinnen und Therapeuten besprechen die Therapiebefunde sorgfältig mit den Betroffenen und stimmen die Versorgung anschließend auf die individuellen Bedürfnisse ab." Die Ergebnisse aus solchen Besprechungen werden standardisiert dokumentiert – und zwar in einer Form, die für PatientInnen gut nachvollziehbar ist.
Die bisherigen Erfahrungen aus PAIN2020 zeigen, dass Haus- und FachärztInnen bei der Identifikation von PatientInnen mit Risikofaktoren für eine Chronifizierung ihrer Schmerzen eine große Bedeutung zukommt. Nach der multiprofessionellen Diagnostik ist es ihre Aufgabe, die Empfehlungen, die frühzeitig zu Beginn der Schmerzerkrankung mit den PatientInnen erarbeitet wurden, umzusetzen. Das bedeutet, dass eine gezielte Vernetzung der SchmerzexpertInnen aus den verschiedenen Fachbereichen essenziell für den Therapieerfolg ist.