ESD: Der Gamechanger bei kolorektalen Läsionen?

In Japan ist sie weit verbreitet, in Europa steigt die Anwendung erst in den letzten Jahren: Wie die kolorektale ESD in der Gastroenterologie helfen kann.

Die Geschichte der ESD in Europa 

Bei der Behandlung kolorektaler Läsionen gab es in den letzten Jahren einige tiefgreifende Entwicklungen. Beispielsweise hat die endoskopische Submukosadissektion (ESD) an Bedeutung in der Gastroenterologie gewonnen. Die erste ESD in Deutschland wurde vor 19 Jahren in Augsburg durchgeführt, und trotz anfänglicher Kritik von vielen Seiten ist sie bei der Behandlung von Läsionen im kolorektalen Bereich nicht mehr wegzudenken.1 Die Technik, die ursprünglich aus Japan kommt und dort auch um einiges verbreiteter ist, erlangt Jahr für Jahr mehr Interesse innerhalb der medizinischen Community. Nichtsdestotrotz herrscht immer noch eine große Lücke bezüglich der Quantität als auch der Qualität von ESDs zwischen Japan und Europa. 

2017 erschien eine Studie, die asiatische und nicht-asiatische Daten verglichen hat und zeigt, dass ein deutlicher Unterschied zwischen den Regionen vorherrscht. So waren beispielsweise verspätete Blutungen, Perforation oder das Wiederauftreten von Läsionen im nicht-asiatischen Raum deutlich höher. Des Weiteren ist die allgemeine Operationsrate in nicht-asiatischen Ländern höher, da hier die ESD deutlich seltener als Behandlungsoption wahrgenommen wird.2
Vergleicht man allerdings die Daten aus dem asiatischen Raum mit denen des Augsburger Zentrums, in dem die erste ESD Deutschlands durchgeführt wurde, so wird ersichtlich: Die Daten ähneln sich enorm, Augsburg schneidet deutlich besser als der durchschnittliche nicht-asiatische Raum ab. Dies zeigt, dass es durch kontinuierliches Training der Behandlungsmethode und ständige Weiterbildung durchaus möglich ist, die eigene medizinische Qualität um ein Vielfaches zu verbessern und so die regionale Lücke hinsichtlich der Therapieerfolge zu minimieren. 

Warum eine differenzierte Diagnose unerlässlich ist 

"Diagnosis first", lautet die Devise von Prof. Dr. med. Messmann, Präsident der Europäischen Endoskopiegesellschaft, während seines Vortrags auf der diesjährigen UEG Week.1 Um die Anzahl an vermeidbaren Operationen zu minimieren und vor allem die richtige Therapiemethode auszuwählen, ist eine differenzierte Diagnose bei kolorektalen Läsionen unerlässlich. Dazu sind verschiedene Klassifikationssysteme verfügbar, beispielsweise die NICE-Klassifikation (Narrow-Band Imaging International Colorectal Endoscopic Classification), anhand derer Kolonpolypen nach submukosaler Eindringtiefe in drei Kategorien eingeteilt werden. Diese Klassifizierung ist zwar simpel, erschwert es allerdings auch, Betroffene mit Läsionen zu identifizieren, die ideal für eine ESD-Therapie geeignet wären. Folgt man hingegen dem Japan NBI (Narrow-Band Imaging) Expert Team, also der JNET-Klassifikation, die zusätzlich in Typ 2A und 2B der Läsionen unterscheidet, könnte man Patientinnen und Patienten herausfiltern, die auf die ESD anspringen. Daher rät Prof. Dr. med. Messmann, dieses Klassifikationsschema für eine differenzierte Diagnose zu verwenden. 

Zusätzlich zur Klassifizierung von kolorektalen Neoplasien gibt es verschiedene Guidelines, wie bei Läsionen vorzugehen ist. Die European Society of Gastrointestinal Endoscopy (ESGE) legt beispielsweise Guidelines vor, welche Läsionstypen welcher Behandlung bedürfen. Auch hier gilt: Der erste Schritt ist eine präzise Diagnose durch eine hochauflösende Endoskopie. Dadurch kann Größe, Morphologie und Lage der Läsion bestimmt werden, im nächsten Schritt deren Beschaffenheit. In diesem Zuge kommen dann etwaige Klassifizierungsschemata zum Tragen (NICE, JNET). Anhand dieser Kriterien ist es im Anschluss möglich, zu identifizieren, ob eine ESD für die jeweilige Läsion geeignet ist. Dank dieses Vorgehens können auch Ressourcen gespart und unnötige Operationen vermieden werden.

Zusammenfassend rät die ESGE:

"Die ESD kann für die Entfernung von Kolon- und Rektumläsionen in Betracht gezogen werden, bei denen der Verdacht auf eine oberflächliche submuköse Invasion besteht und die andernfalls nicht durch eine Standardpolypektomie oder EMR en bloc entfernt werden können."3

Die klinische Realität der ESD 

Betrachtet man den klinischen Alltag in Deutschland bezüglich der ESD, fällt auf: Die Zentren, die ESDs in Deutschland durchführen, nehmen deutlich zu. Auch wenn das Augsburger Zentrum am meisten Erfahrung vorweisen kann, und mit mehr als 200 ESDs pro Jahr die höchste Anzahl an Behandlungen durchführt, steigt die Beliebtheit der Therapie immer weiter, auch in anderen europäischen Ländern. Je häufiger eine ESD durchgeführt wird, und je mehr Behandelnde dadurch in der Lage sind, das Vorgehen zu trainieren, desto höher ist der Prozentsatz an kurativen Resektionen im kolorektalen Bereich. Doch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es durchaus einige Zeit dauert, bis die Outcomes der ESD-Behandlungen zufriedenstellend sind.

Das Augsburger Zentrum beispielsweise konnte zu Beginn der ESD-Therapie bei frühen kolorektalen Karzinomen lediglich eine kurative Resektionsrate von 13,6% verzeichnen, da die Diagnostik zu diesem Zeitpunkt noch nicht präzise genug war und somit Betroffene mit der ESD behandelt wurden, obwohl diese Option für die Ausgewählten nicht kurativ sein konnte. In der zweiten Studienperiode hingegen, nachdem genauer diagnostiziert wurde und Patientinnen und Patienten ausgeschlossen wurden, für die die ESD keine kurative Therapiemöglichkeit darstellte, stieg die Rate der kurativen Resektion auf 47,6%. Anhand dieser Entwicklung wird die Wichtigkeit einer präzisen Diagnose deutlich. Auch Langzeitdaten zeigen: Die ESD ist eine sichere Methode zur Behandlung kolorektaler Läsionen, wenn sie im Vorfeld als kurative Behandlungsoption eingestuft werden konnte.4

Fazit

Insgesamt zeigt sich also: Europa hat viel aus dem asiatischen Raum gelernt, wenn es um die ESD geht. Mittlerweile gibt es zahlreiche Guidelines und Klassifikationssysteme, die es Behandelnden ermöglichen, die Technik zu erlernen und die eigenen Fähigkeiten weiterhin auszubauen. In Hinblick auf diese niedergeschriebenen Vorgehensweisen und Curriculums ist die Lücke zwischen dem asiatischen und nicht-asiatischen Raum bereits geschlossen. Bezüglich klinischer Daten und erfolgreicher Outcomes der ESD wird der Unterschied auch immer kleiner. Außerdem sind prospektive Studien im europäischen Raum in Arbeit, denn es werden mehr Daten zur ESD aus Europa benötigt. Auf die Frage hin, welche Tipps es für Praktizierende zur Erlernung der ESD gibt, schlägt Prof. Dr. med. Messmann vor, eines der verschiedenen Zentren in Europa zu besuchen und die ESD an Modellen, unter anderem Tiermodellen, trainieren. Auch der Besuch von High Volume Centern kann helfen, persönliche Erfahrungen zu sammeln, und auch gemeinsam mit dem eigenen Team zu trainieren, da die ESD eine Gruppenaufgabe ist. So vielversprechend die Methode ist, muss festgehalten werden, dass sich die ESD nur für Patientinnen und Patienten eignet, die sich noch im T1-Stadium befinden, während sich die Mehrheit der Betroffenen bei der Erstdiagnose bereits in fortgeschritteneren Stadien befindet. Zusätzlich stellt die Steigerung der kurativen Resektionsrate auf knapp 50% zwar einen positiven Trend dar, erreicht allerdings bei Weitem nicht die knapp 100% Heilungsrate chirurgischer Resektionen bei T1-Stadien.   

Generell ist es auch im Bereich der Gastroenterologie unerlässlich, offen gegenüber neuen Entwicklungen und Therapiemöglichkeiten zu sein, wie beispielsweise dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz im medizinischen Alltag. "Dieses System [der KI] wird uns in der Endoskopie in den nächsten Jahren begleiten", bestätigte der Präsident der ESGE in einem Interview auf der UEG Week. Zuletzt betont Experte Messmann: Eine präzise Diagnose sei das A und O bei der Behandlung von kolorektalen Läsionen.

Weitere Highlights der UEG Week finden Sie in unserer Kongressberichterstattung

Quellen:
  1. Prof. Dr. med. Messmann, H. (2022). Colorectal ESD in Europe: Are we closing the gap?. UEG Week 2022, Vienna, 11.10.2022.
  2. Fuccio L, Hassan C, Ponchon T, Mandolesi D, Farioli A, Cucchetti A, Frazzoni L, Bhandari P, Bellisario C, Bazzoli F, Repici A. Clinical outcomes after endoscopic submucosal dissection for colorectal neoplasia: a systematic review and meta-analysis. Gastrointest Endosc. 2017 Jul;86(1):74-86.e17. doi: 10.1016/j.gie.2017.02.024. Epub 2017 Feb 28. PMID: 28254526.
  3. ESGE. (2022). DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/a-1811-7025
    Endoscopy 2022; 54. 
  4. Ohata K, Kobayashi N, Sakai E, Takeuchi Y, Chino A, Takamaru H, Kodashima S, Hotta K, Harada K, Ikematsu H, Uraoka T, Murakami T, Tsuji S, Abe T, Katagiri A, Hori S, Michida T, Suzuki T, Fukuzawa M, Kiriyama S, Fukase K, Murakami Y, Ishikawa H, Saito Y. Long-Term Outcomes After Endoscopic Submucosal Dissection for Large Colorectal Epithelial Neoplasms: A Prospective, Multicenter, Cohort Trial from Japan. Gastroenterology. 2022 Jul 8:S0016-5085(22)00751-X. doi: 10.1053/j.gastro.2022.07.002. Epub ahead of print. PMID: 35810779.