Tumortherapie mit Herz

Krebsbehandlungen können Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen. Mit der ersten Leitlinie zur Kardio-Onkologie wurde nun der Notwendigkeit einer langfristigen kardiovaskulären Nachsorge von Krebspatienten Rechnung getragen.

Krebsbehandlungen beeinflussen das Herz langfristig

Welche Patientinnen und Patienten sind besonders gefährdet?

Die aktuell auf dem ESC-Kongress in Barcelona vorgestellte Leitlinie zur Kardio-Onkologie richtet sich überwiegend an Angehörige der Gesundheitsberufe, die Krebspatienten und Überlebende betreuen. Sie enthält u. a. spezifische Empfehlungen für die Behandlung vor, während und nach Krebstherapien, welche zu kardiovaskulären Problemen führen können.

Der erste wichtige Punkt dabei ist, dass Onkologinnen und Onkologen wissen müssen, welche Therapien Herzprobleme verursachen können. Der zweite Punkt ist, dass bestimmte Krebstherapien nicht für alle Patienten das gleiche Risiko darstellen. Daher wird z. B. eine kardiovaskuläre Basisuntersuchung empfohlen, um diejenigen Patienten mit hohem Risiko zu identifizieren. Diese sollten dann noch vor Beginn der Therapie an die Kardiologie überwiesen werden, um die Herzgesundheit und weitere Risikofaktoren abzuklären.

Für Urologinnen und Urologen sind in diesem Zusammenhang Erektionsstörungen beim Mann ein erstes Indiz für eine mögliche kardiovaskuläre Erkrankung. Aus Studien ist bereits bekannt, dass die erektile Dysfunktion, z. B. auf Basis artherosklerotischer Gefäßveränderungen, einige Jahre vor einem kardiovaskulären Ereignis (Herzinfarkt, Schlaganfall) auftritt und somit hinweisgebend sein kann.  

Ergebnis des Kardioscreenings ist therapieentscheidend

Die Intervalllänge der Herzüberwachung (Surveillance) während einer Tumorbehandlung und die Möglichkeit, bereits im Vorfeld der Behandlung mit Herzmedikamenten zu beginnen, sollte für jeden Behandlungsfall individuell bestimmt werden.

Entscheidend für die Therapiewahl sind dabei das Ausgangsrisiko, die Art, die Gesamtdauer und die Dosierung der Krebstherapie sowie eine bereits bestehende kardiovaskuläre Vorerkrankung.

Die Herzgesundheit während der Therapie überwachen

Die Herzgesundheit während der Krebsbehandlung zu erhalten und zu überwachen, ist ein wichtiger Bestandteil der neuen Leitlinie. Die Patientinnen und Patienten sollten über die potenziellen Risiken aufgeklärt werden und darüber, wie sie diese verringern können, z. B. indem sie mit dem Rauchen aufhören, sich mindestens 150 Minuten pro Woche aktiv bewegen, sich gesund ernähren und den Alkoholkonsum auf < 100 Gramm pro Woche beschränken.

Mögliche Herzsymptome wie Brustschmerzen, Atemnot, Ohnmachtsanfälle oder schnelles Herzklopfen (Palpitationen) sollten dem onkologischen Team gemeldet werden. Eine strenge Kontrolle von Bluthochdruck, Diabetes und möglicherweise bestehender Hypercholesterinämie wird ebenfalls empfohlen. Einige Krebstherapien erhöhen bekanntermaßen den Blutdruck, weshalb diese Patientinnen und Patienten dann zusätzlich zuhause eine Blutdruckkontrolle vornehmen sollten.

Welche Krebstherapien belasten zusätzlich das Herz?

Darüber hinaus gibt die Kardio-Onkologie-Leitlinie weitere Empfehlungen für die Diagnose und das Management von kardiovaskulären Nebenwirkungen während einer Tumortherapie. Eine häufige Komplikation ist z. B. die Schwächung des Herzmuskels, die als linksventrikuläre Dysfunktion bezeichnet wird und zu einer schweren Herzinsuffizienz führen kann.

Eine typische Ursache für diese Herzerkrankung sind Chemotherapien auf Basis von Anthrazyklinen, wie Doxorubicin, Daunorubicin oder Epirubicin, die etwa bei Brustkrebs, akuter Leukämie, Lymphomen und Sarkomen eingesetzt werden.

Doch auch in der Uroonkologie sind Therapien mit einem höheren Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen bekannt. So wird unter anderem seit Jahren über Risiken für die Herzgesundheit durch die Androgendeprivationstherapie (ADT) und ihre Kombinationen diskutiert. Darüber hinaus scheint eine Radiatio bei Patienten mit Blasenkarzinom das Risiko für die herz- und die tumorspezifische Sterblichkeit zu erhöhen.

Selbst moderne Therapieverfahren, wie die Immun-Checkpoint-Inhibition (ICI), die verschiedentlich Eingang in die Therapie des Blasen- oder Nierenzellkarzinoms gefunden hat, erhöhen das Herzrisiko der Patientinnen und Patienten. Die ICI-assoziierte Kardiotoxizität manifestiert sich dabei auf verschiedene Weise: So kann es in Einzelfällen u. a. zu Myokarditis, Arrhythmien, Perikarditis, Myokardinfarkt sowie zur sogenannten Takotsubo-ähnlichen Kardiomyopathie kommen.

Wann eine Therapie abbrechen oder fortsetzen?

Nicht selten zeigen sich dann unter der Therapieüberwachung mittels Echokardiogramm oder auch im Bluttest Herzverletzungen oder Belastungen bzw. Funktionsstörungen des Herzens. In der Praxis stellt sich dann häufig die Frage, ob die Krebsbehandlung zu pausieren ist oder uneingeschränkt fortgesetzt werden kann?

Keine leichte Entscheidung, die zudem von mehreren Faktoren beeinflusst werden kann – z. B. vom Ausmaß und vom Schweregrad des Herzproblems, wie früh oder spät im Krebsbehandlungsplan das Problem erstmals aufgetreten ist und wie viele weitere Behandlungszyklen vorgesehen sind. Doch auch das Ansprechen des Tumors auf die Behandlung, die Optionen für die Kardioprotektion und deren voraussichtlicher Nutzen, das Angebot an alternativen, nicht kardiotoxischen Krebstherapien sowie die Präferenzen und die Ängste des Patienten sind hier entscheidende Faktoren für oder gegen eine Weiterbehandlung.

Die Überwachung der Herzgesundheit endet nicht mit der Krebstherapie

Darüber hinaus wird für einige Patientinnen und Patienten eine Weiterbeobachtung im ersten Jahr nach der Behandlung empfohlen. Dazu gehören z. B. solche Patientinnen und Patienten, bei denen während der Krebsbehandlung eine kardiale Komplikation aufgetreten ist.

Bei einigen Patientinnen und Patienten bedeutet dies, dass die während der Krebsbehandlung begonnenen Herzmedikamente langsam ausgeschlichen werden, während anderen eher die lebenslange Herzbehandlung empfohlen wird.

Des Weiteren geht es in der Nachbeobachtung darum, neu auftretende Herzprobleme zu erkennen, da bei einigen Krebstherapien, z. B. bei den Anthrazyklinen, die meisten kardiovaskulären Nebenwirkungen erst in den ersten 12 Monaten nach Abschluss der Behandlung festgestellt werden. Die Patienten sollten während dieser Zeit unterstützend ihre gesunden Lebensgewohnheiten beibehalten, mögliche Herzsymptome melden und ihren Blutdruck, Diabetes und Cholesterinspiegel unter Kontrolle halten.

Ein womöglich lebenslang erhöhtes kardiovaskuläres Risiko

Einige Patienten müssen jedoch auch langfristig auf kardiovaskuläre Probleme überwacht werden. Dazu gehören beispielsweise Überlebende von Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter, die mit einer hochdosierten Anthrazyklin-Chemotherapie und/oder einer hochdosierten Strahlentherapie behandelt wurden.

Hinzu kommen erwachsene Krebspatientinnen und -patienten, bei denen es unter der Behandlung zu mittelschweren oder schweren Komplikationen kam sowie Überlebende von Leukämie, Myelom oder Lymphom, die eine Knochenmarktransplantation erhalten hatten. Besonders gefährdet sind ferner Patient:innen, die eine Langzeit-Tumortherapie bekommen, die als Langzeitfolge zu kardiovaskulären Erkrankungen führen kann. 

Quellen: 

Advice to prevent heart problems caused by cancer therapy published today. 26th August, ESC 2022, Barcelona (press release)

Challa AA et al., Cardiovascular Toxicities of Androgen Deprivation Therapy. Curr Treat Options in Oncol 2021; 22: 47

Chen D-Y et al., Cardiovascular toxicity of immune checkpoint inhibitors in cancer patients: A review when cardiology meets immuno-oncology. Journal of the Formosan Medical Association 2020; 119(10): 1461–1475

Yang F et al., Effects of radical cystectomy, radiotherapy, and chemotherapy on the risk of long-term heart-specific death in bladder cancer patient. Transl Androl Urol 2021;10(10): 3826–3836