ERS 2022: Neue Therapieansätze bei Atemwegsbeschwerden durch SARS-CoV-2
Was hilft bei schweren COVID-19-Verläufen, die mit pneumologischen Beschwerden einhergehen? Antworten wurden auf dem Pneumologie-Kongress präsentiert.
Favipiravir kann jüngeren Betroffenen bei der Genesung helfen
In der Phase-3-Studie PIONEER (NCT04373733) testeten Dr. Christopher Orton (Royal Brompton Hospital, UK) und sein Team die Wirksamkeit von Favipiravir bei hospitalisierten Personen mit COVID-19. Primäres Ziel der Studie war, herauszufinden, ob eine frühzeitige, 10-tägige Intervention mit Favipiravir die Zeit bis zu einer signifikanten Verbesserung des Gesundheitszustands der Betroffenen verkürzen kann.1
Wurde die gesamte Studienpopulation betrachtet, so zeigte sich kein Unterschied zwischen Interventions- und Placebogruppe (p=0,73). Wurde der Fokus allerdings auf die Teilnehmenden unter 60 Jahren gelegt, war hier die Favipiravir-Gruppe der Kontrollgruppe mit Placebo überlegen (p=0,03). In den sekundären Endpunkten zeigte sich ebenso, dass Probanden unter 60 Jahren beim Überleben ohne mechanische Beatmungshilfe gegenüber der Placebo-Gruppe von Favipiravir profitierten (p=0,02).
Brensocatib zeigt keine Wirksamkeit bei schwerem Krankheitsverlauf
Auf dem ERS 2022 wurde außerdem eine Studie vorgestellt, die die Auswirkungen des oralen Dipeptidylpeptidase-1 (DPP1)-Hemmers Brensocatib bei Betroffenen mit schwerem COVID-19-Verlauf untersucht hat.2 Der primäre Endpunkt der Studie beschrieb eine Verbesserung auf einer siebenstufigen WHO-Ordinalskala, die den klinischen Status der Teilnehmenden nach vier Wochen Therapie darstellte.
Holly Keir (Universität Dundee, UK) fasste die Studien-Ergebnisse wie folgt zusammen: Nach der Behandlung hatten 18,7% der Untersuchten im Placebo-Arm und 14,7% des Brensocatib-Arms den positivsten Skalenwert "nicht hospitalisiert + keine Einschränkungen bei Aktivitäten" erreicht. Außerdem verstarben im Studienzeitraum 10,7% der Patienten in der Placebo-Gruppe und 15,3% in der Interventionsgruppe. Somit schien es sogar, als gäbe es einen geringen Vorteil für den Placebo-Arm (bereinigte OR 0,72; p=0,008). Zwar konnte nachgewiesen werden, dass die aktive neutrophile Elastase bei den Brensocatib-Behandelten gesenkt wurde (p<0,0001), allerdings führte dies zu keinem positiven Behandlungseffekt.
Wirksamkeit von inhalativem IFN beta-1 gegen COVID-19
Die Phase-3-Studie SPRINTER (NCT04732949) untersuchte den Effekt von inhaliertem Interferon beta-1 (IFN beta-1) zusätzlich zur 14-tägigen Standardtherapie auf hospitalisierte Betroffene mit einer mittelschweren COVID-19-Infektion. Dieser Wirkstoff habe bereits "eine antivirale Wirkung gegen eine Reihe von Atemwegsviren, einschließlich SARS-CoV-2 gezeigt", so Prof. Tom Wilkinson (University of Southampton, UK)3. Die Kontrollgruppe erhielt ein Placebo plus Standardtherapie. Als primäre Endpunkte der Studie galten die Zeit bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus sowie die Zeit bis zur Wiedererlangung des Punktes "ohne Aktivitätseinschränkung" auf der Sieben-Punkte-Ordinalskala der WHO bis zum Tag 28.
Zwischen den beiden Studienarmen konnte bis zur Krankenhausentlassung kein Unterschied beobachtet werden (HR 1,06; 95% KI 0,89-1,27; p=0,509). Bei den wichtigsten sekundären Endpunkten (beispielsweise dem Tod innerhalb der ersten 35 Tage nach Erstdosis oder notwendiger Intubation) war ebenfalls kein signifikanter Vorteil von inhaliertem IFN beta-1a nachweisbar. Jedoch zeigte sich im Trend ein Vorteil der Interventionsgruppe mit Blick auf das Fortschreiten der Erkrankung zu einem schweren Verlauf oder zum Tod (Placebo 14,4% vs. IFN beta-1 10,7%; OR 0,71; p=0,61). Zudem zeigte sich bei Betroffenen mit einer O2-Sättigung ≤ 92 % oder einer Atemfrequenz ≥ 21 Atemzügen pro Minute eine Tendenz zu einem geringeren Risiko für schwere Erkrankung oder Tod, wenn diese mit inhalativem INF beta-1 anstelle von Placebo plus Standardtherapie behandelt wurden (3,4% vs. 12%; p=0,046). Diese günstigen Trends sprechen laut Prof. Wilkinson für die weitere Untersuchung von IFN beta-1 bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19 oder anderen schweren viralen Lungeninfektionen.
Schwerer COVID-19-Verlauf: Verringert Vilobelimab die Sterblichkeit?
Bei einem schweren COVID-19-Verlauf spielt die Komplementaktivierung (Faktor C5a) eine wichtige Rolle. Betroffene mit einem schweren Erkrankungsverlauf weisen eine hohe C5a-Konzentration auf. Aufgrund des Zusammenhangs zwischen C5a-Konzentration und Schwere der Erkrankung,4 untersuchten Prof. Alexander Vlaar (Amsterdam UMC, Niederlande) und sein Team die C5a-Hemmung bei Betroffenen. Dabei ist Vilobelimab der erste monoklonale Anti-C5a-Antikörper seiner Klasse, der den Membran-Attach-Komplex (MAC) intakt lässt.5
Die PANAMO-Phase-3-Studie (NCT04333420) randomisierte kritisch kranke, intubierte COVID-19-Betroffene 1:1 auf Vilobelimap zusätzlich zur Standardbehandlung oder auf Placebo plus Standardbehandlung.6 Die Gesamtmortalität nach 28 Tagen war der primäre Endpunkt. Insgesamt zeigte sich in der Vilobelimab-Gruppe verglichen mit der Placebo-Gruppe ein tendenziell geringeres Risiko für die Gesamtmortalität (31,2% versus 41,6%). Jedoch war die Reduktion des relativen Risikos um 23,9% statistisch nicht signifikant. Insbesondere westeuropäische Patienten schienen von der Vilobelimab-Gabe zu profitieren. Hier betrug die beobachtete relative Risikomortalität 43,0% im Vergleich zu Placebo. Trotz der statistisch nicht signifikanten Ergebnisse stufte Prof. Vlaar den Trend für einen Vorteil im Interventionsarm als "klinisch bedeutsam" ein.
Lesen Sie auch unsere weiteren Beiträge zum ERS Kongress 2022:
- Orton CM, et al. A randomised controlled trial of early intervention with oral favipiravir in patients hospitalised with COVID-19 (PIONEER Trial). ALERT 3, RCT2882 ERS International Congress 2022, Barcelona, Spain, 4–6 September.
- Keir HR, et al. Dipeptidyl Peptidase-1 Inhibition in Patients Hospitalized with COVID-19: a Multicentre Randomized Double-Blind Placebo Controlled Trial. ALERT 3, RCT2883, ERS International Congress 2022, Barcelona, Spain, 4–6 September.
- Wilkinson T, et al. SPRINTER: A Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled, Phase 3 Trial to Determine the Efficacy and Safety of Inhaled Interferon Beta-1a (SNG001) for the Treatment of Patients Hospitalised Due to COVID-19. ALERT 3, RCT2884, ERS International Congress 2022, Barcelona, Spain, 4–6 September.
- Carvelli J, et al. Nature. 2020;588:146‒150.
- Java A, et al. JCI Insight. 2020;5(15):e140711.
- Vlaar APJ, et al. Phase 3 RCT of C5a-Specific Vilobelimab in Severe COVID-19 Pneumonia. ALERT 3, RCT2881, ERS International Congress 2022, Barcelona, Spain, 4–6 September.