Leitfaden zur Minimierung von Fehlbefunden in der Radiologie

Die medizinische Bildgebung leistet einen wichtigen Beitrag zum Diagnoseprozess, jedoch ist sie auch eine potenzielle Quelle für Diagnosefehler. Wie kann man die häufigsten Fehler in der Radiologie vermeiden?

Welttag der Radiologie 2023

Der internationale Tag der Radiologie, der immer am 8. November stattfindet, erinnert an die Entdeckung der Röntgenstrahlung durch Wilhelm Conrad Röntgen 1895. Die Bildgebung spielt eine zentrale Rolle in der Patientenversorgung, weswegen insbesondere an diesem Tag das Bewusstsein für den unabdingbaren Wert der Radiologie gestärkt werden.  

Fehldiagnosen in der Radiologie, ein Tabu-Thema

Die radiologische Bildinterpretation ist ein menschliches Unterfangen, das auf komplexen psychophysiologischen und kognitiven Prozessen basiert. Sie kann aktuell weder mechanisiert noch automatisiert werden. Für manche ist sie sogar eine Kunst, die viel Wissen und Vorstellungskraft erfordert. Doch die "Fehlbefundung" ist gefährlich und ein heikles Thema für Radiologen. Die exponentiell steigende Anzahl der Untersuchungen und die Abhängigkeit der modernen Medizin von bildgebenden Verfahren führt zu mehr Belastung unter Radiologen und damit einhergehend zu vermeidbaren Fehlern. Doch in vielen Kliniken mangelt es an einer gelebten Fehlerkultur: Anstatt Strukturen für Lehre und Befundbesprechungen zu schaffen, werden die Kompetenzen junger Radiologen und Radiologinnen in Frage gestellt und diese gar auf persönlicher Ebene kritisiert.

Radiologie-Fehler: Was sagt die Wissenschaft dazu?

Trotz der technischen Fortschritte und der verbesserten Arbeitsbedingungen, blieb die Gesamtprävalenz der Fehler in der Radiologie seit der ersten Schätzung in den 1960er Jahren unverändert. Deshalb ist es wichtig, sich mit Fehlinterpretation wissenschaftlich und systematisch auseinanderzusetzen. Der Radiologe Leo Henry Garland (1903-1966) war ein Pionier auf dem Gebiet der Erforschung von radiologischen Fehlern.1 Basierend auf seiner Forschung wurden zwei Fehlerarten erkannt: 

Wahrnehmungsfehler sind weitaus häufiger und machen 60-80 % der Fehler von Radiologen aus.2

Eine erhöhte Inzidenz von Wahrnehmungsfehlern kann auf spezifische interne und externe Risikofaktoren zurückgeführt werden. Zu den externen Faktoren gehören eine schlechte Erkennbarkeit der Zielläsion auf dem Bild, Ablenkungen wie Telefonanrufe, E-Mails und Smartphones. Zu den internen Faktoren gehören die Ermüdung des Arztes oder der Ärztin (beispielsweise im Nachtdienst), ein zu schnelles Tempo bei der Interpretation sowie ein wichtiges Phänomen, das als Satisfaction of Search bekannt ist. Dabei führt die Entdeckung einer Abnormität auf einem Bild dazu, dass eine zweite Abnormität übersehen wird, weil der Radiologe mit den Ergebnissen seiner Suche "zufrieden" ist.

Kognitive oder interpretative Fehler treten auf, wenn eine Anomalie auf einem Bild erkannt, ihre Bedeutung aber falsch verstanden wird, was zu einer falschen endgültigen Diagnose führt. Diese Art von Fehler kann auf einen Mangel an Wissen, eine kognitive Voreingenommenheit des Radiologen, der die Untersuchung interpretiert, oder auf irreführende klinische Informationen zurückzuführen sein, die die offensichtliche Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung vor der Untersuchung verzerren; sie kann auch einfach darauf zurückzuführen sein, dass ein Radiologe versehentlich einen Fehler weitergibt, den ein Kollege oder eine Kollegin in einem früheren Befund gemacht hat (manchmal auch als alliterativer Fehler oder Satisfaction of Report bezeichnet).

Kim und Mansfield haben sich die Mühe gemacht, 1269 Fehlbefunde zu analysieren und in zwölf verschiedene Kategorien nach Ursache einzuteilen.3

Wie kann man die Fehlinterpretation in der Radiologie reduzieren?

Die wichtigste Grundlage für den richtigen Umgang mit Fehldiagnosen in der Radiologie ist meiner Meinung nach der offene Umgang und die Enttabuisierung von Fehlern. Aussagen wie "Jeder Radiologe hat mal was übersehen" und "Das passiert dem Besten" sorgen für eine entspannte Atmosphäre in der Abteilung und eine bessere Kommunikation zwischen Kollegen. Im nächsten Schritt soll die Fehleranalyse objektiv und konstruktiv erfolgen: war das ein Wahrnehmungsfehler aufgrund von externen Faktoren? War das ein Interpretationsfehler bei einem Organsystem, womit sich der Befunder nicht gut genug auskennt? Diese Analyse, begleitet von Feedback und Befundbesprechung, kann effektiv zum Vermeiden Fehler gleicher Art beitragen. 

Für die Qualitätssicherung und Reduktion von Fehlern haben sich Checklisten und die strukturierte Befundung als "best practices" in der Medizin bewährt.4 Mit einer systematischen Befundung und einem eigenen Schema-F, können Satisfaction of Search vermieden und auch Anomalien erkannt werden – selbst wenn man sie nie zuvor gesehen hat. 

Zusammenfassend können radiologische Fehlbefunde zu einer relevanten Verschlechterung des Patienten-Outcomes führen. Um Fehler in der Radiologie zu reduzieren, sollte in die Ausbildung junger Radiologinnen und Radiologen investiert werden. Ein offener Umgang mit Fehlern und konstruktive Befundbesprechungen tragen zum Selbstbewusstsein und zur Erhöhung der Performance in der Radiologie bei, und somit zur Reduktion von Fehldiagnosen. 

Quellen:
  1. Graber M, Gordon R, Franklin N. Reducing diagnostic errors in medicine: what's the goal? Acad Med. 2002 Oct;77(10):981-92. doi: 10.1097/00001888-200210000-00009. PMID: 12377672.
  2. Samei E, Krupinski E. Medical image perception. In: Samei E, Krupinski E, eds. The handbook of medical image perception and techniques. Cambridge, England: Cambridge University Press, 2010
  3. Kim YW, Mansfield LT. Fool me twice: delayed diagnoses in radiology with emphasis on perpetuated errors. AJR Am J Roentgenol 2014;202(3):465–470.
  4. Rosen MA, Pronovost PJ. Advancing the use of checklists for evaluating performance in health care. Acad Med 2014;89(7):963–965.