Medizinische Zukunft: quo vadis?

Was kann, will und braucht die Medizin, um in Diagnose und Therapie neue große Durchbrüche zu erzielen? Das war Thema beim 7. Tagesspiegel Future Medicine Science Match.

Rahmenbedingungen für medizinischen Fortschritt verbessern

Digital Health, Gentherapie, Zelltherapie: Laut Prof. Dr. Christoph Baum, Charité, und Christian Tretbar vom Tagesspiegel nur einige Beispiele dafür, dass es in vielen Bereichen der Medizin schnell vorangeht. Allein auf dem Gebiet der Gentherapie gäbe es derzeit mehr als 500 aktive klinische Studien. Das sei ohne den Forschungsdrang vieler Individuen nicht erreicht worden. "Es sind die Menschen dahinter, die zählen", gibt Prof Baum zu verstehen. Letzten Endes seien es Forschende mit den richtigen Ideen, die Wissenschaft und Ökonomie vorantreiben. Die entscheidende Frage, die gestellt werden müsse, sei: "Welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, um Fortschritt gewährleisten zu können?"

Dr. Michael May, Bristol Myers Squibb, stimmt zu: Es gäbe für medizinischen Fortschritt ein signifikantes Potenzial, etwa in der Art, wie Krebserkrankungen personalisiert und zielgerichtet behandelt werden könnten. Dr. May spricht aber auch eine deutliche Warnung aus: Deutschland verliere aktuell seinen Status, wenn es um pharmazeutische Innovationen gehe. Ein entscheidender Faktor hierfür sei, dass politische Regulierungen seiner Ansicht nach oft zu einschränkend und dementsprechend ein Hindernis seien. Viele anonymisierte Patientendaten wären zwar verfügbar, könnten aber derzeit nicht ausgewertet werden. Auch politische Beschlüsse wie etwa das GKVFinG lieferten dafür keine Lösungen, dabei dürfe die Forschung keinesfalls vernachlässigt werden. Hier stimmt Prof. Simone Spuler, Charité, zu. Um in Zell- und Gentherapie weitere Fortschritte zu erzielen, müsse man auch über die Kosten individueller Therapien sprechen und digitale Prozesse weiter vorantreiben. Die Bürokratie erzeuge hierbei viele Regeln, liefere aber keine Lösung. Um aber medizintechnische Fortschritte zu erzielen, müsse man als Gesellschaft ganzheitlich agieren.

Gesundheitsprojekte: von Genetik bis zum Zebrafischherz

In dreiminütigen Vorträgen präsentierten Sprecherinnen und Sprecher aus verschiedensten Zweigen der Gesundheitsbranche ihre aktuellen Projekte, Zukunftsvisionen und auch Finanzierungsvorschläge zwecks Investments. Ein paar spannende Themen im Überblick:

Wie können aber Projekte solcher Art finanziert werden, wenn die staatliche Unterstützung nicht ausreicht? Die Verbesserung politischer Rahmenbedingungen sei zwar eine Seite der Medaille, man müsse aber auch, so Julia Schaft, BioRN, "den Gedanken von der "dunklen Seite" einer Kommerzialisierung von Wissenschaft überwinden." Es sei auch wichtig, dass Medizinstudierende sich bereits im Rahmen des Medizinstudiums mit der Finanzierung wissenschaftlicher Projekte befassen. Vorbereitung sei bei der Beschaffung von Geldmitteln entscheidend, merkte Dr. Andreas Schmidt, SVP Singleton, an. Präsentiere man Investoren ein durchdachtes Konzept und valide Daten, seien viele auch bereit, Gelder bereitzustellen. Außerdem könnten Universitäten in einigen Punkten selbst aktiv werden, fügte Prof. Dietmar Harhoff, Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, an. Diese könnten etwa ein Entrepreneurship Center kostengünstig einrichten, sich einen Ruf erarbeiten, dass man offen für Entrepreneurships sei oder durch transparente Prozesse den Zugang zu Funds so einfach wie möglich machen. 

CAR-T-Zellen zum Mittagessen

Ein Mittagessen der wissenschaftlichen Art bot das Future Medicine Science Match in Form des Lunch-Symposiums. Während sich die Konferenzteilnehmer beim 3-Gänge-Menü stärken konnten, referierten  Prof. Dr. med. Lars Bullinger, Charité Universitätsmedizin Berlin, und Dr. med. Anne Kerber, Bristol Myers Squibb, über das Thema "Zelltherapien gegen Krebs – Moderne Forschungsansätze und aktuell klinische Praxis in Deutschland". Nach einer allgemeinen Einführung zu Chimeric Antigen Receptor T-Zellen wurden in einem zeitlichen Abriss von 1980 bis Mitte der 2020er die großen Fortschritte in der medizinischen Onkologie hervorgehoben: von den ersten Hormontherapien Mitte der 80er-Jahre über Checkpoint-Inhibitoren in den frühen 2010er-Jahren bis hin zur Möglichkeit, ab Mitte der 2020er-Jahre solide Tumoren per Zelltherapie zu behandeln. Bullinger formuliert hier überspitzt: "Krebserkrankungen sind zu negativ behaftet." Anders als etwa beim Herzinfarkt, bei dem sich die Überlebensrate innerhalb der vergangenen 20 Jahre nicht verbessert habe, seien viele Krebserkrankungen durch medizinische Fortschritte nicht mehr zwangsläufig tödlich. Bullinger zeigt hier anhand eines Patientenbeispiels mit Multiplem Myelom eine Erfolgsgeschichte der CAR-T-Zelltherapie: Ließen sich vor der Behandlung Metastasen-bedingte Läsionen über den gesamten Körper verteilt finden, waren am Tag 83 nach Zelltherapie keine Läsionen mehr zu beobachten. 

Dr. Kerber stellte anschließend die drei Schlüsselkomponenten bei Zelltherapien vor:

Sowohl Kerber als auch Bullinger wünschen sich beim Einsatz von CAR-T-Zellen mehr Mut. Die Frage aus dem Publikum, ob es denn nicht lohnend sei, die Zelltherapie auch in frühen Krankheitsstadien zu verwenden, bejahen beide. Natürlich sei der Preis mit über 300.000 € sehr hoch – die Kosten seien jedoch im Vergleich dazu bei Patienten, die im Verlauf der Jahre immer wieder in Therapie müssten, deutlich höher.

Quelle:
7. Tagesspiegel Future Medicine Science Match "Turning Research into Health: Building an Ecosystem for Innovation". 08.11.2022