Antidiabetika als Alleskönner?

Die Rheumatologie ist ein enorm interdisziplinärer Fachbereich, auch im Bereich der Endokrinologie gibt es diverse Überschneidungspunkte und Ähnlichkeiten. Welche Wirkstoffe helfen bei Rheuma und Begleiterkrankungen?

Interview mit Dr. Zoltan Kender

esanum: Dr. Kender, welche spezifischen Antidiabetika haben sich als besonders wirksam erwiesen, um Begleiterkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Nierenschäden positiv zu beeinflussen?

Das sind einmal die inkretinbasierten Therapien, die GLP-1 Rezeptor-Agonisten können Herz-Kreislauferkrankungen positiv beeinflussen, bzw. das kardiovaskuläre Risiko senken. Und die SGLT-2-Inhibitoren, die die renale Glukose-Ausscheidung fördern, wirken sowohl für Herz-Kreislauferkrankungen als auch für Nierenerkrankungen präventiv. Und Metformin ist etwas umstritten, was das kardiovaskuläre Risiko angeht, dennoch ist zu beobachten, dass es leicht positive Effekte auf dieses Risiko hat.

Wichtig ist: SGLT-2-Inhibitoren wirken unabhängig von Diabetes auf Herzinsuffizienz und Niereninsuffizienz. Das heißt, sie sind breit einsetzbar. Sie können beide Stellschrauben, Herz und Niere, beeinflussen und wirken dadurch kardio- und nephroprotektiv. GLP-1-Agonisten und SGLT-2-Inhibitoren haben entzündungshemmende Effekte - natürlich sinnvoll bei Diabetikern und rheumatologischen Erkrankungen. 

esanum: Glauben Sie, dass moderne Wirkstoffe ältere Antidiabetika wie Metformin langfristig verdrängen werden?

Ich denke nur teilweise, denn Metformin ist in der neuen Leitlinie nicht mehr die einzige First-Line-Therapie und da die anderen beiden Medikamentengruppen, die GLP-1-Agonisten und SGLT-2-Inhibitoren, präventiv sind, sollten sie sehr früh eingesetzt werden - vor allem bei Patienten mit Nierenschädigungen, kardiovaskulären Ereignissen oder anderen Risikofaktoren.

Hingegen zeigen Beobachtungsstudien und Metaanalysen einen zusätzlichen positiven Effekt auf Herzinsuffizienz und kardiovaskuläre Mortalität. Zudem ist Metformin ziemlich nebenwirkungsarm und eigentlich ein gutes Medikament.

esanum: Wann lohnt es sich, trotz guter Blutzuckereinstellung unter der bisherigen Therapie auf neuere Wirkstoffe wie SGLT2-Inhibitoren umzusteigen?

Im Grunde genommen immer, wenn ein Patient ein hohes kardiovaskuläres Risiko hat. Oder auch wenn kardiovaskuläre Vorerkrankungen oder Herzinsuffizienz vorliegen. Hier ist bekannt, dass SGLT-2-Inhibitoren einen sehr positiven Effekt haben. Das gleiche gilt für Niereninsuffizienz. Da sie auch bei sehr niedrigem GFR einsetzbar sind, ist das auch ein Riesenvorteil. Wir müssen aber nicht unbedingt umsteigen, wir können SGLT-2-Inhibitoren und GLP-1-Agonisten  auch zusätzlich geben.

esanum: Einige Antidiabetika zeichnen sich auch durch ihre gewichtsreduzierende Wirkung aus. Beobachten Sie im klinischen Alltag, dass Diabetiker mit Adipositas teilweise weniger auf ihre Ernährung achten, da sie sich auf die Wirkung dieser Medikamente verlassen?

Das beobachte ich noch nicht, weil diese neuen Medikamente, wie Liraglutid und Semaglutide, aktuell kaum lieferbar sind. Aber ich sehe tatsächlich, dass viele sehr darauf warten und denken, jetzt gibt es ein Wundermedikament. Doch das ist schwer zu beurteilen, bei GLP-1 wissen wir, dass es zur verlangsamten Magenentleerung führt und Einfluss auf das Sättigungsgefühl hat. Patienten haben dann sowieso weniger Appetit. Wer aber jetzt auf ein Wundermittel hofft, wird dann später vielleicht etwas weniger auf die Ernährung achten wollen.  

esanum: Stichwort Hypoglykämierisiko und schwer einstellbare Glukosewerte: Wo stehen wir hier mit den neuen Antidiabetika? Sind sie in dieser Hinsicht besser als herkömmliche Präparate?

Ja, sie sind in dieser Hinsicht auf jeden Fall besser. Sie machen eben in der Regel keine Hypoglykämien. Die GLP-1-Agonisten erhöhen nur die Glukose-abhängige Insulinproduktion. Auch die SGLT-2-Inhibitoren machen keine Hypoglykämien, die Blutzuckerspitzen werden abgemildert. Das einzige, was ein Problem sein könnte,  bei starker Kalorienreduktion, beim Fasten oder bei schwerer Erkrankung, wäre die atypische Ketoazidose. Aber das sehen wir zum Glück äußerst selten.

DGRh-Kongress 2023: "Blick über den Tellerrand"

Vom 30.08. bis zum 02.09.2023 kommt die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie im Rahmen ihres 51. Fachkongresses zusammen, um sich zum gesamten Spektrum der Rheumatologie auszutauschen – von der klinischen Rheumatologie über den praktischen Versorgungsalltag hin zur experimentellen Rheumatologie mit innovativen Entwicklungen und zum interdisziplinären "Blick über den Tellerrand". Alle Highlights finden Sie in der 
esanum-Berichterstattung.

Kurzbiografie von Dr. Zoltan Kender 

Dr. med. univ. Zoltan Kender, PhD, ist Oberarzt der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie, Stoffwechselkrankheiten und Klinische Chemie am Universitätsklinikum Heidelberg.